Schreibwerkstätten sind ja nun wirklich nichts Neues. Schon die
alten Griechen beschäftigten sich mit der Frage, ob kreatives Schreiben
lehr- und vermittelbar ist. In Amerika hat der Studiengang creative
writing Tradition ausgezeichnete Autoren sind daraus hervorgegangen.
Mittlerweile gibt es auch in Deutschland erste Hochschulangebote. Eine
der bekanntesten Absolventinnen ist sicherlich Juli Zeh.
Seit 3 Jahren sind auch wir als Dozenten im Auftrag
der Literatur und ihrer kreativen Umsetzung unterwegs. Wir leiten Schreibwerkstätten
für Jugendliche im Alter zwischen 16 und 21 Jahren in Schulen,
Berufsschulen, Jugendzentren, im Gefängnis und Literaturhäusern,
seit November 2001 eine wöchentliche Prosa-Schreibwerkstatt im
Literaturhaus Stuttgart, das auch das bundesweite Jugendliteratur-Magazin
Literatur machen herausgibt, dessen Redaktion wir bilden.
Wie kommt man zu so einem Job?
Immer dann, wenn eine Einrichtung über einen Etat verfügt
und qualifiziertes und erfahrenes Personal benötigt.
Nicht nur wir, sondern auch unsere Kollegen arbeiten hauptberuflich
als Schriftsteller, Journalisten, Pressesprecher, Verleger, Lektoren
usw. In unserem Fall ist Boris Kerenski als Herausgeber für verschiedene
Verlage tätig, Ulrike Wörner ist Geschäftsführerin
des Friedrich-Bödecker-Kreises, der Literatur-Veranstalter mit
den meisten Lesungen in Baden-Württemberg (ca. 450 im Jahr). Das
ist ein wichtiger Aspekt, denn es geht neben dem kreativen Schreiben
nicht nur um theoretischen Unterricht (vgl. Schule) oder wissenschaftliche
Betrachtungen (vgl. Hochschule), sondern auch um das Einbringen konkreter
Erfahrungen aus der Arbeits- und Schreibwelt sowie um Berichte aus erster
Hand.
Was ist eigentlich Sinn der ganzen Sache?
Wollen wir Nachwuchsautoren heranziehen? Sicherlich nicht.
Es geht uns um Literatur und die damit einhergehende Auseinandersetzung,
aber nicht um eine Ausbildung zum Autor oder gar zum Schriftsteller
oder darum, den satten Literaturmarkt mit noch mehr überflüssigen
Texten zu füttern. Wer aber gegen unseren Rat dranbleibt, sich
seine schlechten Zukunftsaussichten vergegenwärtigt und sich versucht
durchzubeißen, hat möglicherweise eine Chance. Es gibt erste
kleine Erfolge wir werden sehen, was aus diesen Talenten in den
nächsten Jahren wird.
Um was geht es dann (auch noch)?
Es geht uns um die Heranführung an Literatur. Wir zeigen, wie man
Texte nicht nur konsumiert, sondern lernt, sich selbst auszudrücken.
Wer einmal versucht hat, einen Text zu schreiben, wird jedes Buch buchstäblich
mit anderen Augen lesen.
Wir gehen davon aus, dass nur gute Texte schreiben kann ob das
dann wiederum Literatur ist/wird, steht auf einem anderen Blatt
wer mit der Literaturgeschichte und den wichtigsten Werken der Weltliteratur
vertraut ist; auch wenn man mit knapp 20 Jahren den Kanon des Reich-Ranicki
nicht vollständig mitsingen kann, sollte man doch Autoren und Titel
kennen und ungefähr wissen, um was es in den Werken geht. Aber
alle unsere Teilnehmer müssen lesen! In Diskussionen (innerhalb
der Gruppe oder mit Gästen (Autoren, Lektoren)) sprechen wir über
die von uns vorgegebene Lektüre, versuchen kritisch mit dem Werk
umzugehen. Hier werden Erfahrungen gesammelt, die später auf die
eigenen Texte übertragen werden können.
Wie gehen wir vor zum Beispiel?
Die Schüler machen eine Reise durch die Literatur- und Kunstgeschichte
der letzten 150 Jahre mit den Schwerpunkten Romantik, Impressionismus,
Expressionismus, Futurismus, DADA, Surrealismus, Beat Generation und
New America bis hin zu aktuellen Tendenzen der Popliteratur (wobei wir
uns bei der Definition von Pop auf das Buch Von Acid nach Adlon und
zurück von Johannes Ullmaier beziehen: Vor dem Hintergrund einer
inzwischen über dreißig Jahre währenden, sehr wechselhaften
Liaison von Literatur und Pop in Deutschland wird ein Bogen vom jüngsten
Popliteratur-Boom zurück zu den Anfängen in der deutschen
Beat-Dichtung Ende der 60er, über Neubeginn und Fortentwicklung
im Zuge der Punk-Explosion Ende der 70er, bis zum aktuellen Underground
der Social-Beat- und Slam-Poetry-Szene geschlagen). Um dem Ganzen Nachdruck
zu verleihen, gehen wir regelmäßig mit den Kursteilnehmern
zu Lesungen, die das Literaturhaus Stuttgart veranstaltet: Susan Sonntag,
Günter Grass, Bastian Böttcher, Michel Houellebecq und Jean
Baudrillard. Autoren wie Ulrich Peltzer oder Kathrin Röggla stellen
sich nach der Lesung den Fragen der Jugendlichen, die wiederum in Literatur
machen darüber berichten. Auch Originalmanuskripte werden untersucht,
wie zum Beispiel im Deutschen Literaturarchiv/Marbach das der
für die Öffentlichkeit im Normalfall nicht zugängliche
Reise von Bernward Vesper. Vespers Manuskript enthält Kritzeleien,
chaotische Randbemerkungen sowie Zeitungsartikel, Postkarten und Fundstücke.
Oft notierte Vesper, unter welchem Drogeneinfluss er die einzelnen Passagen
schrieb. Spannend und befreiend so etwas zu sehen, denn die meisten
Jugendlichen gehen davon aus, dass ein Manuskript so sauber und sexy
wie eine Buchseite ist und glauben, sie seien gescheitert, wenn wir
den roten Stift zücken.
Aber wir korrigieren einen Text nicht nur. Er wird laut gelesen und
im Plenum diskutiert, dann mit nach Hause genommen und eventuell überarbeitet;
oder er bleibt erst einmal liegen. Nach ein, zwei Monaten hat er seine
ursprüngliche Form oft sehr verändert. Natürlich lektorieren
wir auch Texte, stets nach der Formel: Wir wissen nicht genau, wie man
einen guten Text erstellt, wir wissen aber sehr genau, was ein schlechter
Text und warum er das ist und was man alles vermeiden sollte.
Zur Praxis
Wir vermitteln klassische Schreibtechniken. Sehr beliebt ist auch écriture
automatique, eine Technik der Surrealisten. Das funktioniert folgendermaßen:
man setzt den Stift aufs Papier und beginnt das aufzuschreiben, was
in einem vorgeht. Wenn die einzigen Gedanken mir fällt nichts
ein, ich bin total leer
sind, spielt dies keine Rolle,
es wird solange weitergeschrieben, bis der Kreis durchbrochen ist und
man auf eine neue Gedankenebene kommt. Wichtig ist, dass man dabei nicht
versucht, die Gedanken zu ordnen, zu strukturieren, in eine Kausalität
zu zwängen oder sie als wertvoll oder wertlos zu erklären.
Nach einer halben Stunde liegen oft 5 bis 10 Seiten Rohmanuskript vor.
Im nächsten Schritt muss das Material gesichtet und ausgewertet
werden: gibt es einen roten Faden, wiederholen sich Motive, passen Abschnitte
zusammen oder stoßen sie sich ab... Jetzt gilt es, an diesem Elaborat
zu feilen, zu streichen, zu ergänzen, oft müssen ganze Textpartien
umgeschrieben, Dialoge eingeflochten werden usw.
Im Idealfall entsteht so ein Text.
Wer nimmt eigentlich an so einer Schreibwerkstatt teil?
Während die einen in der Disco rumhängen, sitzen die anderen
in der Bibliothek. Das stimmt. Eine Lehrerin meinte zu uns: Diese
Leute nutzen ihre Jugend. Auch das. Klar sind es mehr Mädchen
als Jungs, doch entgegen aller Vorurteile handelt es sich bei den Teilnehmern
nicht um Freaks, Streber oder Pubertätsgestörte. Außenseiter
sind sie gewiss, das liegt aber in der Natur der Sache, denn Literatur
ist egal wieviel Publikum bei einer Kneipenlesung anzutreffen
ist eine unpopuläre und letztendlich elitäre Angelegenheit.
Nicht erst seit PISA wissen wir, dass Sprachkompetenz in fast allen
anspruchsvollen Berufen erforderlich ist, deshalb haben wir auch Teilnehmer,
die ihre verbessern wollen. Man muss nicht Autor werden wollen, um sich
mit Sprache zu beschäftigen. Aus diesem Grund gibt es weder Probleme
mit der Disziplin noch muss man jemanden motivieren.
Soweit wir das mitbekommen, ist aber das weitere Freizeitverhalten völlig
normal: Amica lesen, ins Kino oder auf Partys oder Konzerte gehen
Nein, Pärchen haben sich noch keine gebildet. Aber
fast.
Wie entsteht die Zeitschrift Literatur machen?
Literatur machen hat im Augenblick eine Auflage von 7500 Exemplaren
und wird kostenlos in den Literaturhäusern und -büros in Deutschland,
Österreich und der Schweiz verteilt. Darüber hinaus kommen
noch Schulen, Jugendzentren, ausgewählte Buchhandlungen, Clubs,
Kneipen
Der Schwerpunkt ist Stuttgart bzw. Baden-Württemberg.
Literatur machen erscheint zweimal im Jahr auf wertigem Papier
und künstlerisch anspruchsvollem Layout, bei dem unsere Grafikerin
Myriel Milisevic von fetafarm.com jede Freiheit genießt. Die redaktionelle
Arbeit unterscheidet sich nicht groß von anderer redaktioneller
Tätigkeit. Kein Teilnehmer einer Schreibwerkstatt hat ein Recht
auf Veröffentlichung. Nur die besten Texte können einerseits
die Werkstätten repräsentieren, andererseits das bieten, was
ein Leser zu Recht erwarten darf: spannende Texte, gut geführte
Interviews, kritische Essays usw. Dazu kommen noch Gastbeiträge
von etablierten Autoren und Sachtexte.
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