Claudia von See
Schreibwerkstatt Naturwissenschaften
Bericht über ein Pilotprojekt


Das letzte Gespräch zwischen zwei Stammzellen, die sich zu unterschiedlichen Organen entwickeln werden. Die bittere Anklage einer Fischlarve, die keine Mutationen zeigt und deshalb nicht für die Forschung taugt. Die Gedanken einer Putzfrau, die ausgerechnet Lotus-Blüten geschenkt erhält, von dem Selbstreinigungseffekt dieser Pflanzen erfährt und zunehmend Angst um ihren Job bekommt: Drei Beispiele für spannende Geschichten, die von den Teilnehmern der neuen „Schreibwerkstatt Naturwissenschaften“ im Stuttgarter Literaturhaus aufgeschrieben wurden. Seit Mitte März 2003 gibt es die Werkstatt, die neben den Werkstätten für Rap & Poetry, Lyrik, Prosa und Journalismus der fünfte von der Robert-Bosch-Stiftung geförderte Kurs ist, in dem Jugendliche sich mit dem Schreiben auseinandersetzen.
Die Verknüpfung von „Literaturhaus“ und „Naturwissenschaften“ mag zu Missverständnissen führen, denn es gibt noch nicht viele derartige Experimente: Ob wir denn Wissenschaftsjournalismus machen, fragten Interessierte. Machen wir nicht, denn eine Journalismus-Werkstatt gibt es bereits. Ob bei uns seine Studenten das wissenschaftliche Schreiben lernen könnten, wollte ein Professor wissen. Eigentlich nicht, denn das Schreiben einer Haus- oder Diplomarbeit hat wenig mit Literatur zu tun.

Für die Art von Texten, die wir schreiben wollen, gibt es viele prominente Beispiele: Carl Djerassi, bekannt als „Vater der Pille“, entschloss sich in den späten 1980er Jahren zu einer zweiten Karriere als Schriftsteller. In dem von ihm entwickelten Genre „Science-in-Fiction“ verwendet er moderne Wissenschaft als Themenlieferant für die Gegenwartsliteratur. Caryl Churchill beschreibt in ihrem Theaterstück Die Kopien das Drama eines Vaters, der von seinem Sohn ein paar Klone hat anlegen lassen. John Bayley schreibt in Elegie für Iris über sein Leben mit der an Alzheimer gestorbenen Schriftstellerin Iris Murdoch; ihm gelingt dabei eine erschütternde Beschreibung dieser Krankheit, die das Ende aller Ausdrucksfähigkeit ist. Genauer betrachtet, befasst sich eine ganze Reihe von Werken zwar nicht ausschließlich mit einem naturwissenschaftlichen Thema, räumt ihnen jedoch einen großen Raum ein: Mehrere Kapitel in Yann Martels Bestseller Schiffbruch mit Tiger schildern mit verhaltensbiologischer Genauigkeit, wie der Schiffbrüchige Pi mit einem Tiger in einem kleinen Rettungsboot überlebt, weil er ihn seekrank macht und so zum scheinbar stärkeren Tier im schwimmenden Biotop wird.

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