Florian Michnacs
Über die Idee der Zeitreise –
Science Fiction und physikalische Realität


Zeit. Für die gewöhnl. Auffassung ist die Z. ein kontinuierliches Fortschreiten, innerhalb dessen sich alle Veränderungen vollziehen. In der Physik kennzeichnet man die Bewegung von Körpern durch die Angabe ihrer Orte zu verschiedenen Z.punkten und betrachtet daher die Z. als eine zu den drei Raumkoordinaten hinzutretende 4. Koordinate.
Bertelsmann Volkslexikon, 9. Auflage Oktober 1957

Moment, die zweite Szene im dritten Akt ist Science Fiction! Helena gelangt zu Fuß von der Antike ins Mittelalter, das ist eine Zeitreise!
Über Goethes FAUST 2: Florian Michnacs, Notizbuch, Jahr 2000, Band 1


Es sind Wunschträume des Menschen, die Science-Fiction-Autoren bewegen, Reisen durch die Zeit zu beschreiben. Der Engländer H.G. Wells schuf mit dem 1895 veröffentlichten Roman The Time Machine nach Kritikermeinung seinen kühnsten Beitrag zur Science Fiction. Wells schildert darin die Zeit als eine vierte Dimension des Raumes, in der sich der Held mittels einer technischen Erfindung genauso beliebig fortbewegen kann wie in den drei räumlichen Dimensionen der Länge, Breite und Höhe. Der beschriebene Apparat ist aus Gegenständen wie Elfenbeinstäben, Messingschienen, Nickelstangen, Schrauben und einer Quarzwelle zusammengesetzt. Vor dem Start muss das Gerät geölt werden, der Passagier sitzt auf einem Sattel und bedient die Zeitmaschine über zwei Hebel.
Neben der wohl naheliegenden Erfindung eines Motorrads für die vierte Dimension haben Schriftsteller noch ganz anderes ausgebrütet. Eine sehr interessante Variante der Zeitreise wird in den sogenannten „time track“-Storys behandelt. Diese gehen von der Voraussetzung aus, dass die Geschichte sich an entscheidenden Wendepunkten spaltet und wie auf abzweigenden Gleisen in verschiedenen Entwicklungsrichtungen weiterläuft. Ward Moore beschreibt in Bring the Jubilee (1953), wie ein Militärhistoriker in die Vergangenheit reist, um zu erkunden, wie es im amerikanischen Bürgerkrieg zum Sieg der Südstaatler bei Gettysburg gekommen war. Seine Ankunft mit der Zeitmaschine bringt jedoch die Heere von General Lee in Unordnung, und das Ergebnis dieses Ereignisses ist der Sieg der Nordstaaten. Eine große Zahl dieser Was-wäre-wenn-Romane handelt von der Vision einer Welt, in der der Zweite Weltkrieg von den Achsenmächten gewonnen wurde, so etwa Philip K. Dicks The Man in the High Castle (1962). Darin führen die Deutschen Flüge auf den Mars durch und trocknen das Mittelmeer aus, Japan hat die USA okkupiert. In Lest Darkness Fall (1949) beschreibt L. Sprague de Camp, wie ein Mann an einer schwachen Stelle des Raum-Zeit-Gefüges urplötzlich in das antike Rom des Jahres 535 gerissen wird. Dort führt er ein neues Buchhaltungssystem ein, das die römischen Ziffern durch arabische Zahlen ersetzt, und krempelt so das gesamte Bankwesen des 6. nachchristlichen Jahrhunderts um. Anschließend beginnt er mit der Fabrikation von Branntwein, wird der Zauberei bezichtigt, steigt zu einem der großen Würdenträger der Goten und Italer auf und verhindert letztlich das Hereinbrechen der Finsternis des Mittelalters.

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