Bernhard Friedmann
Die Industrielle Revolution im Verlagswesen –
die Basis für den Erfolg der »Chemischen Briefe« in Deutschland


Die Gestalt Justus Liebigs steht neben vielen anderen Gelehrten, Erfindern und Fabrikanten am Beginn der industriellen Revolution in Deutschland. Liebig benötigte für seine auf Breitenwirkung zielende Veröffentlichungsstrategie – es ging um Startauflagen von 3.000 Exemplaren – die Zusammenarbeit mit leistungsstarken und renommierten Verlegern. Das frühe 19. Jahrhundert ist in Deutschland gekennzeichnet durch Entstehung und Ausbau einer reichen Verlagslandschaft, deren herausragende Namen auch im heutigen Buchwesen noch einen Klang haben. In Leipzig wirkten damals die Verleger Brockhaus, Göschen, Tauchnitz, Reclam mit unterschiedlichen, aber höchst erfolgreichen Geschäftskonzepten, in Braunschweig Vie-weg, in Hamburg Hoffmann und Campe, in Gotha Perthes, in Stuttgart Cotta und Metzler, in Heidelberg Winter, in Göttingen Ruprecht, in Köln Du Mont – um nur die Bedeutendsten zu nennen. Dies war eine wesentliche Begleiterscheinung einer zunächst eher verhaltenen, später stürmischen Anpassung des Wirtschaftslebens an westeuropäische Verhältnisse. Ein Dreigestirn von Verlagen war es, das Liebigs Publikationstätigkeit in Bücher und Zeitschriften umsetzte: Cotta, Vieweg und Winter.

Ein Weltblatt des frühen 19. Jahrhunderts: Die Augsburger Allgemeine Zeitung und die Verlegerfamilie Cotta

Georg von Cotta (1796–1863) brachte Liebig 1841 auf den Gedanken, kurze Abhandlungen über die Chemie in leicht verständlicher Sprache zu publizieren und damit seinen wohl schon länger gehegten Absichten gemäß die Ergebnisse seiner Arbeit breiteren Kreisen zugänglich zu machen. Cotta war Eigentümer der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Der Verlag, 1640 entstanden, verkörperte in mehrfacher Hinsicht den Fortschritt der Publizistik während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch geschickte Auswahl von Autoren und Themen, ein gut funktionierendes Vertriebssystem und die Nutzung der neuesten Drucktechnik.
Johann Georgs Vater Johann Friedrich Cotta (1764–1832), nach Hans-Ulrich Wehler „ungekrönter König des Verlagswesens“, hatte durch ein weitgespanntes Verlagsprogramm, das alle Wissensgebiete erfasste, seinen außerordentlichen geschäftlichen Erfolg und die weit über den südwestdeutschen Raum hinausreichende Bedeutung des Unternehmens begründet. Es war sein Sinn für die aktuellen Erfordernisse des Buchmarktes, der ihn neben der Herausgabe bekannter Autoren wie Fichte, von Gagern, Kerner, Pestalozzi, Jean Paul, Schelling, Schiller und Uhland Titel wie das Staatsrecht des Rheinbundes oder die Einleitung in den Codex Napoleon verlegen ließ.
Er war wie sein Bruder Friedrich auch Politiker, der, angespornt durch das Vorbild der Französischen Revolution, für Bürgerrechte kämpfte und schließlich Vizepräsident der Württembergischen Ständeversammlung wurde. Seine Gemahlin Wilhelmine gehörte zu jenen bedeutenden Frauengestalten des Revolutionszeitalters, die eine weitläufige gelehrte Korrespondenz unterhielten und einen großen Salon führten.
Politischen Einfluss suchte Johann Friedrich Cotta, indem er ab 1794 mit einem Zeitungsprojekt einen „frühen Medienkonzern“ schuf. Nach mehreren, politisch bedingten Ortswecheln wurde das Organ bekannt als die Augsburger Allgemeine Zeitung, das einzige deutsche Blatt von Weltformat, das gelegentlich sogar mit der Londoner Times verglichen wurde. Selbst Heinrich Heine lieferte Beiträge aus Paris. Die Zeitung wurde, wie im Deutschen Bund, zumal nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819, üblich, von der Zensur kujoniert, doch sie war auch den Mächtigen unentbehrlich und daher nicht in ihrer Existenz gefährdet.

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