Alexander K. Weber
Furcht und Mitleid in Patchinko –
eine Liebesgeschichte (Teil 1)


Als Ali den Raum betrat und um die Ecke schaute, starrte ihn eine Küchenratte an, in die er sich sofort verliebte. Sie hatte blaue Mäuseaugen, einen bräunlich-grauen Schwanz, und sie schien ihm zuzuzwinkern.

Es geschah nur selten, dass er sich in Ratten verliebte, er verliebte sich, für Männer nicht ungewöhnlich, in Autos. Manchmal auch in Gegenstände, wie in die Uhr, die er vor Jahren in einem Antiksupermarkt in Amsterdam sah und sofort kaufte. Eben Sachen, die schön sind, meist irgendwie rund kurzum: gut anzufassen. Aber auch Verkehrsschilder, Ladendekorationen, und, ab und an, getragene Wäschestücke taten es ihm so an, dass ihm der Schweiß von der Stirn perlte, er feuchte Hände bekam und ein eigentümliches Grummeln im Bauch verspürte, so, als würde er jeden Moment Durchfall bekommen. Nicht unähnlich dem Gefühl, auf leeren Magen ein Tibetisches Dreijahresei gegessen zu haben, was er natürlich noch nicht hatte. „Hey Ali“, sagte die Ratte, „komm mit ins Rattenland, wo wir alle graue Schwänze tragen und Pillen in uns reinschieben, rektal und so, du weißt schon“. Er drehte sich um, fragte sich, ob er nicht doch tatsächlich verrückt geworden war, bekam Durchfall und rannte zur Toilette. Auf der Kloschüssel sitzend, wischte er sich mit dem Toilettenpapier zunächst die Stirn, dann den Arsch und beantwortete die Frage, wie so oft, selbst. „Ja, verdammt noch mal, aber wen stört das denn hier. Die anderen sind ja auch keinen Deut besser. Oder?“

Rollo war der einzige, dem aufgefallen war, dass Ali reingekommen war. Dass er in die leere Ecke der Patchinko-Bar gestarrt hatte und, nachdem er sich eine zeitlang mit einer Hand den Sack und mit der anderen das immer schütterer werdende Haupthaar gerieben hatte, blitzartig aufs Klo gerannt war. Als Ali wieder aus der zerkratzten Toilettentür trat, auf der slacksüchtige Subo-Kids ihre Tagspuren hinterlassen hatten („Rüdi-Hop rules“; „Die, Lega-Rock Die, yu bastard fucksuck son of a butch“ und so weiter), trat Rollo auf ihn zu und stotterte: „Hey Ali“ DU DU DU …“ Er war wie immer grässlich angezogen. Ali wunderte sich oft, ob ihm Rollo das absichtlich antat – grüne Kombapants, Slup-Slipers und ein orangefarbenes Hemd, dem er nicht näher in die Knopflöcher schauen wollte. Nach drei Runden Butch und sieben Gläsern Ratix (ohne Eis und Salz) war der jedoch kaum noch in der Lage zu stehen, geschweige denn zu sprechen – laufen konnte er trotzdem irgendwie und ging, wackety wackety, so, als ob er an einem Gummiseil an der Decke befestigt wäre, schlabbernd auf ihn zu, fasste ihn an den Schlaufen seiner schlabberigen Lavis und zog ihn, der immer noch etwas unsicher war, ob er nicht noch einmal in Richtung Rattenecke schielen sollte, einfach an den Tisch, wo er mit Katz, Riedel und der Genitalschriftstellerin Laxi in einer Ecke saß.

(…)
 

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