Frau Lund
Die Huldigungen der Bacchantin (Auszug)

 


Jürgen ist ein Auserwählter des Bacchus. Sein runder Kopf ist spärlich von federweichen Härchen überwachsen. Kein Zweifel, wo die Hörner hingehören. Seine Lippen sind wohlgeschwungen und sein Lächeln ist voller Spott und Genuß. Die dunkelbraune Iris seiner Augen liegt im körnigen Gelb seiner versoffenen Augäpfel. Seine Wimpern sind lang, dunkel und dicht. Das hat er dem katalanischen Blut seines Vaters zu verdanken, der sich einst ins Rheinland verirrte und hier niederließ. Jürgens Geist ist wach genug, um denselben ironischen Blick wie Wendy aufzusetzen, und sein Zynismus übersteigt den ihren noch an Bosheit. Meist vom Vortag noch müde und verkatert, beginnt für Jürgen der Abend mit ein paar Espresso, in die er teuren Brandy schüttet. Wendy liebt seine mit Kaffee und Schnaps getränkte Zunge, die er ihr schamlos und schnell durch den Mund schleckt. Sie ist dann aufgeregt und erwartungsfroh wie ein Kind. Sie beginnen eine ziellose Suche durch die Straßen und Kneipen der Stadt. Wo es möglich ist, tanzen sie, lachen, schunkeln, prosten und rauchen ununterbrochen. Sein nacktes Wollen, seine schiere Freude, sein Verlangen nach Körpern, machen ihn zu einem guten Tänzer; mutiger Torro in stierloser Arena. Sie blicken einander direkt in die Augen, voller Freude und Gier. Jürgen betrinkt sich mit Inbrunst. Wendy wird ihren leichten Rausch verlieren, lange bevor die Nacht für Jürgen zu Ende ist. Sie braucht keinen Alkohol, um diesen fieberhaften Zustand des Feierns zu erlangen, sie gibt sich der Nacht furchtlos hin, ohne Richtung, ohne zu steuern, nimmt alles auf, folgt willig und fröhlich Jürgen, auf dem konsequenten Streifzug eines professionellen Säufers. Im Morgengrauen gegen sechs oder sieben kehren sie dann in Jürgens Wohnung ein. Diese ist eigentlich nur ein Raum, in dem seine Computerzeitungen und Pornos in Kisten gestapelt stehen. Er wohnt die meiste Zeit in der Wohnung seiner Freundin, die mit ihrer Puppen- und Spielzeugsammlung vollgestopft ist. Seine Wohnung benutzt Jürgen nur als Lusthöhle oder, häufiger noch, als Rückzug, um seinen Rausch auszuschlafen. Kleidung, Müll, Aschenbecher, Taschen und Schuhe sind frei auf dem Fußboden zerstreut. In der hinteren Ecke neben einem Heizkörper liegt eine Matratze mit süßlich riechendem Bettzeug. Neben dem Kopfende finden sich pornographische Krimis des Naxos Verlages, auf Englisch, da die Sprache dann leichter zu ertragen ist, Aschenbecher und Brandygläser, leere Flaschen, Feuerzeuge, CDs.

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