Florian Michnacs
»Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr« (gebrüllt)
Die hybride Gattung Hörspiel (Ausschnitt)


Die extrem nervöse Radiowerbung ist heute ein tolles Kurzhörspiel nach dem anderen. Sie ist absurd und hat richtigen Drive, und sie ist unglaublich penetrant. Als in den späten 60er Jahren Radiomacher und Autoren antraten, um das »Neue Hörspiel« durchzusetzen, haben sie an die Penetranz nicht gedacht, deswegen setzten sie sich letztlich eben nicht durch. Die gewollte Betonung als Schallereignis sollte die Kunst gebären, und die Hörer sollten telefonisch über den Fortlauf der verkrampft realistischen, aber zugleich überkonstruierten Handlung entscheiden – ein Greuel, wie wir ihn heute in der lästigen Interaktivität des World Wide Web wieder vorfinden, wenn wir versuchen, dort zusammenhängende Texte zu lesen.

Vom »Neuen Hörspiel« blieb nichts, der Hörfunk ist wie zuvor ein Hort traditioneller Literaturauffassung. Immer wirken die Protagonisten zur Ruhe gekommen und unbeeindruckbar wie alte Leute, auch wenn sie in der Regel als Zwanzigjährige bis Mittvierziger im hektischen Berufsleben und der davon begrenzten und darum aufregend gelebten Freizeit geschildert werden. Es gibt in Hörspielen der 90er Jahre und der neuesten Zeit in der Regel keinen praktischen Unterschied zu gelegentlich wiederholten aus den frühen 60er Jahren.

Natürlich muß ein Hörspiel erstmal von einem Autor geschrieben worden sein, ehe es produziert werden kann. Da diese Literaturgattung eigentlich zur akustischen Wahrnehmung bestimmt ist, ist sie hybrid.
Das Hörspielmanuskript muß so geschrieben sein, dass die Sprecher, der Regisseur und die Technik damit mühelos zurechtkommen. Fünfzehn Zeilen zu je sechzig Anschlägen ergeben eine Sendeminute. Dass ein so verfasster Text gesprochen leicht statisch wirkt, ist jedem bewusst, der es versteht, seinen Mitmenschen zuzuhören. Die ununterbrochene Aufrechterhaltung durchschnittlicher Sprechgeschwindigkeit tötet jede Gelegenheit zur Emphase durch den Hörer. Aber gute Sprecher sind in der Lage, auch mittelmäßige Manuskripte »interessant« zu lesen und damit aufzuwerten. Das ist heute die Regel. Auch wenn Natürlichkeit in der deutschen Bühnen-Hochsprache angeblich oberstes Gebot ist, ist Künstlichkeit in Hörspielen nicht überhörbar.

(…)

HOME               Informationen zu dem Autoren