Michael Schönauer
Chin‘, Hank, Samson und die Polin

(Ausschnitt)


Chin‘ benützte dann immer gerne den Vergleich, „Tage kommen und gehn wie Pferde über die Weide“, wenn er sein Lamento abschloss, „Hier ist sowieso nichts los, aber du musst mich einladen, ich bin gerade abgebrannt.“

Das war der staubigste Sommer, dessen sich die Bewohner von Reno erinnerten. Tagsüber brannten die Straßen und in der Nacht flammten die Körper der rastlos Gewordenen. Chin‘ verlor seinen Job bei der Briefbeförderung, da er mehrmals im trunkenen Zustand über der Sortieranlage eingeschlafen war und damit ein tumbes Chaos angerichtet hatte. Jetzt hatte er mal wieder genug Zeit für das, was er Leben nannte: Chin‘ liebte Draftbier. Ließ es sich immer mit Eiswürfeln in seiner Lieblingsbar servieren. Eigentlich saß er nur am Tresen, beobachtete die Kundschaft und rutschte lediglich zum Pinkelngehen vom Barhocker. Selten, dass man da an der Bar ein richtiges Gespräch führte.
Wenn er sich erinnerte, saß auf dieser schäbigen Garnitur neben ihm das Monster, seit er das erstemal die Bar aufgesucht hatte, und da lagen zahllose Jobs und Sommer dazwischen. Das Monster war natürlich keines, sie nannten ihn nur so, da er außer Rülpsern und nach Fleischklopsen stinkenden Fürzen nichts von sich gab. Er schüttete die Halfpints in sich hinein und wenn er vom Scheißhaus kam, lief er zur Jukebox, schmiss ‚ne Münze in den Schlitz und drückte einen albernen Song, so in der Qualität „ich will ‚nen Cowboy als Mann.“ God damn‘, der Song lief dann oft mehrmals hintereinander oder auf jeden Fall mehrmals am Tag. Einmal beschwerten sich die Jungs – hey Hank, alle möglichen Platten hast du schon in der Kiste gewechselt, nur dieses Tralalla nicht …
Hank wischte die Zapfgarnitur und zuckte mit den Schultern. Es kam der Tag, an dem der Platz des Monsters unbesetzt blieb. Chin‘ fragte den Mann hinterm Tresen: „Hey, wo ist das Monster“, denn dieses gehörte zum Mobiliar von Hanks Draftshop wie die polierte Zapfanlage hinter der Theke und das Regal mit den ausgewischten Gläsern.
Der Roomservice fand ihn heute Morgen auf seinem Motel-Zimmer, tot, und ohne ein weiteres Wort marschierte Hank hinter seiner Theke vor, schloss die Musiktruhe auf und nahm ein schwarzes Vinyl heraus und zerbrach es in zwei Hälften. „Es war sein Lieblingssong.“
Chin‘ trank noch sein Bier, so lange er‘s dort bezahlen konnte, und kritzelte sinnlose Geschichten aufs Papier, wie‘n Assessor Zahlenkolonnen vorm Examen.

(…)

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